Der Film "Elternschule" berichtet über Familien, deren Kinder eine mehrwöchige, stationäre Therapie in einer psychosomatischen Klinik erhalten.
Es ist zu sehen, wie Kinder, die schreiend auf dem Boden liegen, von ihren Eltern in einem Spielzimmer allein gelassen werden. Andere Szenen zeigen Kinder in Gitterbetten, wo sie lernen sollen durchzuschlafen, indem sie die Nacht ohne die Nähe zu ihren Eltern verbringen. Oder wie Kinder, die nicht essen möchten, von Therapeuten festgehalten und zum Essen gezwungen werden. Alles mit System und Anleitung durch die Klinikleitung, mit dem Ziel, innerhalb kürzester Zeit die Kinder zu "formen" bzw. "genehm" zu machen.
Unsere ehrenamtliche Mitarbeiterin Ewa Mark-Traisenthal arbeitete viele Jahre als Diplomierte Krankenpflegerin mit psychisch schwer erkrankten Kindern und Jugendlichen und kennt viele der im Film beschriebenen Probleme aus eigener Erfahrung.
So wie der Österreichische Kinderschutzbund, ist auch sie der Meinung, dass Kinder eine liebevolle, fürsorgliche Behandlung benötigen und gewaltvolle Zwangsmaßnahmen niemals heilsam bzw. ohne psychische Verletzungen am Kind sein können. Nur mit Ruhe, Geduld und Verständnis lassen sich verletzte Kinderseelen heilen.
Ewa erinnert sich noch sehr gut an den damals 9 jährigen Paul.
An einem Sommertag, während andere Kinder die Ferien genossen, wurde er in der Abteilung der kinderpsychiatrischen Klinik aufgenommen.
Beim Aufnahmegespräch erzählte die Mutter, dass Paul seit knapp einer Woche keine Nahrung zu sich genommen und somit viel abgenommen hatte. Wenn es in der Familie Probleme gab und der Vater Stress machte, zog sich Paul zurück, sprach kaum und verweigerte die Nahrungsaufnahme.
Trotz intensiver Betreuung und Bemühungen, psychologischer Begleitung, freundlicher Zuwendung, vielen Gesprächen in denen versucht wurde auf seine Bedürfnisse einzugehen, konnte Paul auch auf der Station nicht zum Essen motiviert werden. Um eine
lebensbedrohliche Gewichtsabnahme zu vermeiden wurde ihm die Nahrung per Magensonde zugeführt. Paul wehrte sich oftmals dagegen und sein Leid war nicht zu übersehen.
Das ganze Team der Station war mittlerweile am Überlegen und Forschen, welche Strategie man anwenden könnte, um einen Zugang zu ihm zu finden und ihn zum Essen zu bewegen.
Eines Tages fragte Ewa den Jungen, ob er vielleicht Lust hätte, ein Baby zu spielen. Sie schlug vor, dass er sich eine Speise aussuchen könnte und Sie würde ihn dann füttern.
"Ich bin aber kein Baby", sagte Paul und lachte." "Das ist klar", antwortet sie, "es ist nur ein Spiel, versuchen wir es." Nach kurzer Überlegung stimmte Paul zu und suchte sich eine Gemüsesuppe aus.
Den ersten Löffel Suppe hielt Paul ein paar Minuten im Mund, bevor er ihn schluckte. Dann - langsam weiter einen Löffel nach dem anderen. Es schien zu funktionieren. Plötzlich spuckte Paul die Suppe in Ewa's Gesicht.
Im ersten Moment erstarrten sie beide. Ewa, ohne etwas zu sagen oder sonst zu reagieren, wischte sich das Gesicht ab und versuchte weiter Paul zu füttern. Das Geschehen wiederholte sich dreimal, mit dem gleichen Ablauf.
Dann begann Paul bitterlich zu weinen und sagte: "Ich bin böse, ich spucke dich an und du schimpfst nicht."
Ewa versuchte ihn zu trösten:"Das, was du getan hast, ist sehr unangenehm für mich und nicht in Ordnung, aber ich weiß, du bist nicht böse. Du bist sehr traurig und hast viele Sorgen und ich weiß auch, dass es dir nicht gut geht. Deshalb bist du bei uns, damit wir gemeinsam einen Weg finden, damit es dir wieder gut geht. Wie wäre es, wenn du bitte, jetzt den Löffel selbst in die Hand nimmst, die Suppe allein aufisst und ich gehe mir mein Gesicht waschen?"
Paul nahm den Löffel und begann seine Suppe zu essen. An diesem Tag machte Paul seinen ersten Schritt in Richtung selbständiges Essen und wieder gesund werden.
Ein Schritt, den er durch freundliche Zuwendung und die nötige Geduld gehen konnte.
Ewa Mark-Traisenthal
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