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Ein „Zeitzeugenblick“ auf Univ. Prof. Dr.Hans Czermak von Dr. med. Birgit Streiter

Aktualisiert: 29. Juni 2021

30 Jahre Gewaltverbot in der Erziehung – Ein „Zeitzeugenblick“ auf Univ. Prof. Dr.

Hans Czermak und sein Engagement für eine kinderfreundliche Gesellschaft


Meine erste Begegnung mit Hans Czermak, im Jahr 1979, liegt nun schon unglaubliche 40 Jahre zurück! Aus dieser Begegnung hat sich in der Folge eine Freundschaft entwickelt, die uns bis zu seinem Tod im Jahr 1989 verbunden hat und für die ich überaus dankbar bin, da ich sie als große persönliche und berufliche Bereicherung erfahren habe.












Biographie: Hans Czermak wurde 1913 in Krems geboren und ist in der Zwischenkriegszeit in NÖ und Wien aufgewachsen. Nach der Matura folgte von 1932-1938 das Medizinstudium, das er gerade noch vor Ausbruch des 2. Weltkriegs abschließen konnte. Während des Krieges war er als Truppenarzt vorwiegend an der Ostfront tätig. Nach dem Krieg arbeitete er zunächst an verschiedenen Krankenhaus-Abteilungen in Wien, so auch auf einer Neugeborenen-Station und Kinderklinik, wo ihm sein besonderes Interesse für die kinderärztliche Tätigkeit klar wurde. Dazu hat auch sein von ihm verehrter Lehrer, der renommierte Sozialpädiater Prof. August Reuss beigetragen. Auf dessen Anregung hin absolvierte Hans Czermak für 2 Jahre Studien für Sozialpädiatrie in Paris, Stockholm und London bevor er nach Wien zurückkehrte und dort in den folgenden Jahrzehnten als Leiter eines Kinderspitals und als Kinderarzt in freier Praxis sowie später auch als Univ.-Prof. für

Sozialpädiatrie tätig war.


Ich durfte Hans Czermak 1979 anlässlich eines Kinderheilkunde-Kongresses in Wien persönlich kennenlernen. Damals war ich 34 Jahre alt, seit zwei Jahren ärztliche Leiterin der Innsbrucker Mutterberatung und Mutter von zwei kleinen Buben, zu denen später noch ein dritter hinzukommen sollte.


Es war mir zwar bereits bekannt, dass er als großer Förderer des Stillens galt und dass er sich besonders für eine humane, gewaltfreie Kindererziehung einsetzte. Dennoch war es für mich überraschend und bemerkenswert, dass auf diesem Kongress, dank seines Vortrages auch das Thema Stillen vertreten war. Denn das Interesse am Stillen und dessen Förderung lag damals unter den Kinderärzten keineswegs im Trend. Vielmehr galt es der industriell hergestellten Muttermilch- Ersatznahrung.


Mir ist gleich angenehm aufgefallen, dass dieser Professor eine große Sensibilität für

die wahren Bedürfnisse der Kinder und Eltern erkennen ließ.

Gleich bei unserem ersten Pausengespräch konnte ich spüren, dass die mir persönlich und für meine Arbeit in der Mutterberatung so wichtigen Themen für ihn nicht nur Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sondern auch ein Herzensanliegen waren.


Daher folgte ich gerne seiner Einladung, dem von ihm, im Jahr 1975, gegründeten

„Verein für gewaltlose Erziehung“ (später auch dem Österreichischen Kinderschutzbund) beizutreten und hatte so in den folgenden Jahren Gelegenheit, öfter nach Wien zu fahren und an Vereinssitzungen und diversen von Czermak organisierten Veranstaltungen teilzunehmen.


Die Gespräche mit Hans Czermak waren immer interessant und lehrreich, aber auch

unterhaltsam und oft recht humorvoll, wenn er Episoden aus seiner über 40-jährigen

pädiatrischen Erfahrung zum Besten gab. Er konnte aber nicht nur gut erzählen, sondern auch sehr gut zuhören. An den Erfahrungen von Müttern und Vätern zeigte er ebenso großes Interesse wie am Austausch mit Psychologen/innen und allen Berufsgruppen, die mit Kindern und Eltern zu tun haben.


Ich erlebte ihn dabei als weltoffenen, äußerst kontaktfreudigen Menschen mit

großem sozialen Engagement und vielseitigen Interessen, besonders für Kunst und

Literatur. Davon zeugte auch seine umfangreiche Sammlung (mehr als 1000 Objekte) von künstlerischen Darstellungen stillender Mütter. Damit verbunden war auch seine durchaus erfolgreiche Idee, durch diverse Ausstellungen aus seiner Sammlung „Die stillende Mutter in der Kunst“ das Stillen auch unmittelbar über die Gefühlsebene zu propagieren.


Einen wesentlichen Beitrag zur Veränderung bzw. zum Wandel hat Cermak auch bei

der damals keineswegs Mütter- und kinderfreundlichen Geburtshilfe geleistet. Stichwort: Rooming-in, Einbeziehen der Väter bei der Geburt und ab der ersten Lebenszeit des Kindes, „sanfte Geburt“, wie sie der mit ihm befreundete Gynäkologe Leboyer propagierte. Sein Ansatz war in erster Linie die Ermutigung und Stärkung der Eltern, dies alles selbstbewusst einzufordern. Auch mich hat er ermutigt, Unterschriften für die Einführung des Rooming-in bei den Eltern zu sammeln. In kurzer Zeit hatten wir über 1000 Unterschriften gesammelt, die mir zwar eine Ermahnung seitens meiner Dienststelle einbrachte, aber nicht ohne positive

Veränderungen innerhalb der Klinik blieben.


Sein Einsatz für eine gewaltfreie, humane Kindererziehung wurde für Czermak immer wichtiger. Schon in den 70er Jahren hatte er gemeinsam mit dem Psychiater Pernhaupt das Buch „Die gesunde Ohrfeige macht krank“ veröffentlicht und auch in seinem Anfang der 80er Jahre erschienenen Buch „Die erste Kindheit-ein ärztlicher Ratgeber“ ist der Unwirksamkeit und Schädlichkeit jeder Form von Gewalt in der Erziehung ebenfalls viel Raum gewidmet. Dabei ging es ihm weniger um spektakuläre Misshandlungsfälle als um die weit verbreiteten Formen von ganz alltäglicher körperlicher, seelischer und struktureller Gewalt.

Für die diesbezügliche Bewusstseinsbildung setzte er sich unermüdlich ein, ob in Form

fachspezifischer oder populärwissenschaftlicher Publikationen, Vorträgen und

Diskussionen, Elternbildungsveranstaltungen oder sonstiger Öffentlichkeitsarbeit.


Er war somit Volksbildner im besten Sinne. Dem Ziel, diese wichtigen Themen in

die Öffentlichkeit zu tragen und populär zu machen, folgte später auch der Verband

der Wiener Volksbildung und Volkshochschulen mit der Gründung des Hans Czermak-Preises für aktuelle Beiträge zur Gewaltprävention, in drei Kategorien, im Jahre 1992. Projektpartner waren bzw. sind der ORF und die Generali Versicherung.

Die bekannte Autorin Christine Nöstlinger war im Jahr 1994 Preisträgerin. Leider gibt

es seit 2009 keine Ausschreibungen bzw. Verleihungen mehr.


Ein besonders großes Anliegen von Professor Czermak war die gesetzliche Verankerung des Gewaltverbotes in der Erziehung. Auf dieses Ziel hatte er mit Unterstützung seines Freundes Dr. Udo Jesionek (ehem. Präsident des Jugendgerichtshofes) viele Jahre hingearbeitet und durfte zum Glück dessen Realisierung 1989, wenige Monate vor seinem Tod, noch erleben. Wie groß seine Freude und Genugtuung darüber war, konnte ich bei meinem letzten Besuch bei Hans, knapp vor seinem Tod, tief beeindruckt erfahren.

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