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„Mir haben die Watsch´n auch nicht geschadet ....“

Psychodynamid der transgenerationalen Weitergabe von Gewalt in der Familie.

Barbara Burian-Langegger

„Die Geschichte der Kindheit ist ein Albtraum, aus dem wir gerade erst erwachen“ schreibt Lloyd de Mause in dem Buch „Hört ihr die Kinder weinen“. In seiner Theorie zur Geschichte der Kindheit beschreibt er, wie sich die Beziehungen zwischen Erwachsenen und Kindern von der Antike bis heute verändert haben und wie 2000 Jahre traumatische Kindheitserfahrung von Generation zu Generation weitergegeben wird und als kulturelles Merkmal erhalten bleibt. Zentraler Schauplatz dieses kulturellen und psychosozialen Transfers ist die Familie.

Dass der kindliche Körper und die kindliche seelische Entwicklung einen zu schützenden Wert darstellen, und dass Kinder ein Anrecht auf die Liebe ihrer Eltern haben ist erst Gedankengut des 19. Jahrhunderts. Aber trotz Aufklärung und Gesetzgebung betrachten manche Eltern ihre Kinder weiterhin als ihren ausschließlich privaten Besitz, über den sie allein verfügen können. Unter dem Motto: „Wir wollen ja nur dein Bestes“, wird weiterhin emotionale und körperliche Züchtigung betrieben. Zeuge, Opfer oder Täter gewaltsamer Auseinandersetzung zu werden bleibt jedenfalls für Kinder und Jugendliche heute weiterhin Realität. Ebenso die Wahrscheinlichkeit, das Erlebte in der einen oder anderen Form zu wiederholen.

Risikofaktor Nummer eins für Gewalt und Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch ihre Eltern ist erwiesenermaßen deren eigene Gewalterfahrung in der eigener Kindheit. Sind Eltern aufgrund von Verdrängung und Idealisierung ihrer Kindheit nicht in der Lage, die selbst erlebten Kränkungen aufzuarbeiten, sind sie in ihrer Fähigkeit der Elternschaft deutlich eingeschränkt. Je mehr Eltern die Gefühle der Hilflosigkeit und Ohnmacht, die sie selbst als Kinder erleben mussten verleugnen, desto eher müssen sie auf starre und manipulative Erziehungsstile zurückgreifen. Die unverarbeiteten traumatischen Erfahrungen, wirken im Seelischen aber als Fremdkörper weiter und sind Gestalter der zukünftigen traumatischen Reinszenierungen. Sie werden unbewusst in Wiederholungen „erinnert“, ohne als solche erkannt zu werden. So kann die eigene Kindheit und die eigenen Eltern, in idealisierter Form weiterbestehen.....
 
Den Vorgang, der die Generationen auf diese Weise miteinander verknüpft, nennen wir „Identifizierung“.

Kinder, die wiederholter Gewalt ausgesetzt sind, “müssen massive Schutzmechanismen gegen das Erinnern aufbauen um ihre schreckliche Kindheit zu überstehen“ (L.Terr).  


Je früher ein Mensch solche traumatischen Erfahrungen macht, desto verheerender sind die Folgen für seine weitere Entwicklung. Während Erwachsene traumatische Ereignisse, entsprechend ihrer Persönlichkeitsstruktur verarbeiten können, wirkt ein Trauma im Kindesalter direkt auf die Persönlichkeits- und Gehirnentwicklung ein.


Solange ein Kind die Fähigkeit zu Symbolisierung und Sprachfähigkeit noch nicht erlangt hat, können traumatische Erlebnisse psychisch und kognitiv nicht verarbeitet werden und bleiben als diffuse körperliche Spannungszustände mit extrem negativer Qualität gespeichert. Bis ein Kind gelernt hat, derartige Erregungszustände selbst zu regulieren, ist es ganz auf die Hilfe von Erwachsenen angewiesen.

Wenn aber Eltern die Bedrohung nicht beseitigen können, das Kind nicht beruhigen können oder selbst zum Angreifer werden, sind die Bewältigungsstrategien des Kindes überlastet. 


Nicht die Misshandlung an sich und die Erfahrung von physischem Schmerz ist in erster Linie für diese traumatogene Wirkung verantwortlich: es ist vor allem die Tatsache, dass sie von Personen ausgeführt, oder durch Personen nicht verhindert wurde, von denen das Kind abhängig ist und von denen es normalerweise Liebe und Fürsorge erwartet.


Das Wesentliche dieser traumatischen Erfahrung ist der Verlust der liebevollen Bindung, der zu extremer Verlassenheit und Hilflosigkeit führt. Sind die Eltern selbst die Aggressoren, verliert das Kind die Fähigkeit zwischen sicheren und unsicheren Orten und Objekten zu unterscheiden. Das Kind verliert das Gefühl der Geborgenheit, das positive Bild von sich selbst und das Vertrauen in die Welt. Dieses "Urvertrauen" bildet die Grundlage aller unserer Beziehungs- und Wertsysteme, seine Zerstörung hat katastrophale Folgen. 


Da das Kind von seinen Eltern absolut abhängig ist, muss es nun alles unternehmen, um diese Liebe zurückzugewinnen, um den verlorenen Zustand narzisstischer Geborgenheit wiederherzustellen. Seine Entwicklungskräfte sind dann fast ausschließlich darauf ausgerichtet sich der traumatischen Situation anzupassen, um diese psychisch und körperlich zu überleben.

Der Psychoanalytiker Sandor Ferenczi beschreibt diesen psychischen Überlebensmechanismus bereits 1933. Für die Erhaltung der lebensnotwendigen „guten Eltern“ muss sich das Kind nun in einem Unterwerfungsakt anpassen und in den Täter „einfühlen“ unter Aufgabe seiner eigenen, als zu gefährlich empfundener Gefühle. Durch diese Form der Identifikation wird die Gewalt scheinbar beherrschbarer. So wird das Trauma von einem äußeren Angriff zu einem inneren Fremdkörper, der im Inneren des Kindes – ganz im Sinne des Täters - weiterwirkt. Da ein Kind den Verlust der elterlichen Liebe immer auf sich bezieht - weil es „schlimm“ war – so wird nun auch die erfahrene Gewalt als verdiente Strafe erleben. Das „Böse“, der „Teufel“ befindet sich nun im Kind. So verstehen wir das oftmals beharrliche Festhalten des Kindes, an den Geschehnissen selber schuld gewesen zu sein. Noch als Erwachsene sind diese Kinder überzeugt, dass sie selbst für die Misshandlung und den Missbrauch verantwortlich sind.

Der hier beschriebene Vorgang der „Verschmelzung“ mit dem gewalttätigen Objekt ist ein sehr früher Abwehrmechanismus, der ohne therapeutische Hilfe meist unbewusst bleibt. Hier treffen wir Eltern, die sich sogar bewusst vorgenommen haben, ihre Kinder nie zu schlagen, die sich aber in Stresssituationen nicht mehr kontrollieren können. 


Sie sind voll von Schuldgefühlen und können sich diese, sich immer wieder wiederholende Gewaltdurchbrüche, nicht erklären. In diesen Momenten kommen sie in Kontakt mit dem inneren Fremdkörper, mit der nicht integrierten Angst und werden von dieser überwältigt. Die immer wieder hervorbrechenden aggressiven und sadistischen Impulse entsprechen den unbewussten Identifizierungen mit ihren eigenen Tätereltern. Von sich aus können sie diesen Mechanismus nicht durchbrechen.

Anders jene Eltern, die ihre Erziehungsmethoden mit dem berühmten Satz rechtfertigen: “ Mir haben die Watsch´n auch nicht geschadet...”! Sie identifizieren sich bewusst mit den starken, autoritären Eltern. So kann die als Kind erlebte Angst aktiv in lustbetonte Sicherheit umgewandelt werden, um sich das „gute“ elterliche Objekt zu erhalten und sich so der elterlichen Liebe zu versichern. Bei dieser Form der Identifikation, “ich möchte so werden wie meine Eltern“ kommt es zu einer bewussten Übernahme und Weitergabe von Erziehungsstilen und ethischen Wertvorstellungen.

In der therapeutischen Arbeit mit Familien, in denen Gewalt an Kindern ausgeübt wird, spielen diese gerade beschriebenen Vorgänge eine nicht unwesentliche Rolle; gelegentlich kommen wir als HelferInnen dabei in große Schwierigkeiten. Kinder, die Opfer von familiärer Gewalt wurden, rufen bei uns immer besonders intensive Gefühle hervor. Die Konfrontation mit dem Leid dieser Kinder bringt uns selber in Not und wir identifizieren uns zumeist in erster Linie mit dem Kind.  Dennoch müssen wir auch gegenüber den „Tätereltern“ ein gewisses Verständnis erarbeiten können, gewissermaßen das kindliche Opfer in ihnen identifizieren, ohne allerdings das Delikt zu bagatellisieren. Dabei werden wir manchmal in eine nur schwer handhabbare Beziehung hineingezogen; als einzeln agierende Helfer/Innnen haben wir in derart komplexen Fällen oft keine Chance - effizient lässt sich das eigentlich nur in einem therapeutischenTeam bewerkstelligen !

In meinen Ausführungen habe ich versucht aufzuzeigen, wie der Gewaltzyklus in der Generationenfolge weiterwirkt.  Wir dürfen jedoch nicht übersehen, dass es einem Grossteil der Eltern, die selbst in ihrer Kindheit Misshandlung und Missbrauch erlebt haben gelingt, diese Erfahrungen an ihre Kinder nicht weiterzugeben! Die transgenerationale Weitergabe von Gewalt an die eigenen Kinder hängt nämlich nicht so sehr von der Tatsache ab, dass man selbst geschlagen wurde, sondern ob und wie man das Erlebte verarbeiten konnte.
Um den Gewaltzyklus in der Generationenfolge zu erkennen und durchbrechen zu können, bedarf es aber nicht nur einer individuellen Auseinandersetzung, sondern eines gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinsprozesses. Hans Cermak war hier ein Vorkämpfer ...

(Auszüge aus einen gleichnamigen Vortrag, anlässlich der Tagung der Liga für Kinder-und Jugendgesundheit“Kinder schützen-Jetzt“ anlässlich des 100. Geburtstags von Hans Cermak)

Frau Dr. Barbara Burian-Langegger ist Kinderärztin und Psychotherapeutin
Email:bbl@aon.at

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