Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Vielhaber
Hans Czermak – „Kinder sind alles, was wir nie wirklich besitzen können, und gerade deshalb alles was wir haben“.
Ich habe Hans Czermak Ende der 1970er Jahre kennengelernt. Sein Name war mir damals
bereits geläufig, als jemand, der sich mit Fragen der Säuglingssterblichkeit auseinandersetzte, seine persönliche Bekanntschaft hatte ich allerdings noch nicht gemacht. Es ergab sich im Rahmen einer Publikation zum Stand der Bevölkerungsforschung in Österreich, dass mir die Aufgabe übertragen wurde, mit Hans Czermak Kontakt aufzunehmen.
Ich sollte herausfinden, warum sozialmedizinische Forschungsarbeiten, die sich vorrangig mit Säuglingen und Kleinkindern beschäftigten, keine breitere Öffentlichkeit finden konnten – schließlich publizierte Czermak oft gemeinsam mit dem damaligen Leiter der Abteilung für
Bevölkerungsstatistik des Österreichischen Statistischen Zentralamts Hans Hansluwka
einschlägige Studien seit Beginn der 1960er Jahre und die Sterblichkeit und Morbidität von
Säuglingen galt als brisanter Problembereich.
Bevor ich Gelegenheit erhielt, mit Czermak persönlich zu sprechen, konnte ich mich im
Wartezimmer seiner Ordination in teilnehmender Beobachtung üben. Zwei Frauen waren
noch vor mir, bevor ich mich vorstellen durfte und beide begleitete Czermak aus der
Ordination hinaus bis zur Türe, und beide beschwor er in durchaus lautem Ton ihr Kind ja zu
stillen, solange es nur irgendwie möglich wäre. Dieses doch eher intime Thema war weder
Czermak noch den Frauen peinlich, denn vor der endgültigen Verabschiedung kam es zu
einem regelrechten Erfahrungsaustausch, was das Stillen betrifft, wobei meine Präsenz nicht
wirklich als Störfaktor wahrgenommen wurde. Ich war beeindruckt, denn in einer derartigen
Lockerheit über Stillen zu kommunizieren, war mir neu, und ich war schon gespannt auf das
Gespräch mit diesem doch eher ungewöhnlich agierenden Professor. Die Spannung löste sich schon sehr bald in neugierige Verwunderung auf, nachdem mir Czermak ein Anmeldeformular für den Verein für Gewaltlose Erziehung vorlegte und mich darauf hinwies,
dass er erst dann für meine Fragen zur Verfügung stünde, wenn ich unterschrieben hätte und
er würde sich auch erwarten, dass ich künftig auch seine Veranstaltungen in den Räumen des
Vereins besuchte.
Auch ohne Czermak gekannt zu haben, war Gewaltlosigkeit gegenüber Kindern für mich eine Lebensgewissheit, sodass die Leistung meiner Unterschrift für mich kein Problem darstellte, obwohl ich damals durchaus überlegte, ob sein Vorgehen nicht in die
Kategorie „Gewalt gegenüber abhängigen Erwachsenen“ fallen würde.
Das Gespräch verlief äußerst anregend und war sehr fruchtbar. Czermak strich die Bedeutung des erst vor kurzem aus der Taufe gehobenen Mutter-Kind Passes hervor und bedauerte auch, dass es ihm nicht gelungen war, mehr Kollegen und Kolleginnen für sozialmedizinische Themen die jüngeren Altersklassen betreffend zu interessieren. Die Haltung übrigens, lautstark für das einzutreten, wovon er überzeugt war, blieb für mich auch in späteren Jahren ein prägnantes Markenzeichen von Czermak. Keine Situation war ihm zu entfremdet, dass er es nicht geschafft hätte, sein Thema unter die Menschen zu bringen.
Es verging einige Zeit, ohne dass ich in der Folge näheren Kontakt zu Hans Czermak und
seinen Verein gesucht hätte. Die Persönlichkeit Czermaks blieb aber präsent, nicht zuletzt
durch die Publikation eines Buches, das er 1980 gemeinsam mit dem bekannten Psychiater
Günter Pernhaupt verfasst hatte: „Die gesunde Ohrfeige macht krank. Über die alltägliche
Gewalt im Umgang mit Kindern“. Dieser plakative Titel setzte sich damals auch im
Bewusstsein vieler Menschen fest. Czermak entwickelte sich auch in der Öffentlichkeit zu
einem Anwalt der Kinder und genoss eine steigende mediale Unterstützung.
Dann ergab es sich, dass ich im Zuge eines Ringstraßenfestes, auf Wiens Prachtstraße entlang flanierte und plötzlich Hans Czermak erkannte, der hinter einem Tapeziertisch stehend in seinem weißen Arztkittel Sticker mit einem Aufruf zur Gewaltlosigkeit gegenüber Kindern verteilte – auf dem Tisch natürlich jede Menge Anmeldeformulare für den Verein für
Gewaltlose Erziehung, der damals schon in Verbindung mit dem Österreichischen
Kinderschutzbund stand und Broschüren, die über Organisation, Ziele und Aufgaben
aufklärten.
Das hat mich tatsächlich tief beeindruckt, dass sich ein Ordinarius auf der Ringstraße platzierte und gegen Gewalt Stellung bezog. Hans Czermak wurde von seinem
Sohn Gert unterstützt, den ich damals kennen lernen durfte und mit dem mich später eine
langjährige Freundschaft verband. Diese Begegnung war ausschlaggebend für mein weiteres Engagement und sie vertiefte meinen Kontakt zu Czermak und seinem Sohn.
In den nächsten zehn Jahren durfte ich erleben, dass Czermaks Forderung nach
Gewaltlosigkeit gegenüber Kindern und nach einer entsprechenden gesetzlichen Verankerung immer kompromissloser wurden und dass es ihm gelang, immer hochrangigere Mitstreiter zu gewinnen, sodass sein Ruf nach Gewaltlosigkeit auch in einer breiteren Öffentlichkeit unüberhörbar wurde. Kurz vor seinem Tod im Jahre 1989 gelangte er an sein Ziel.
Das Gewaltverbot fand Eingang in das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch und einer seiner
bekanntesten Mitstreiter, der damalige Präsident des Jugendgerichtshofes Udo Jesionek, ehrte den Sozialmediziner mit seiner Aussage, dass es sich dabei wohl zweifellos um eine Lex Czermak handelte. Österreich war damit das vierte Land weltweit, das dank Czermak. einen gesetzlichen Bann jeder physischen und psychischen Gewalt gegenüber Kindern vorzuweisen hatte.
Mit Erfüllung dieser Lebensaufgabe ging auch Hans Czermaks Leben zu Ende, doch sein
Wirken zieht nach wie vor seine Kreise und seine Bemühungen um ein nachhaltiges
Gewaltverbot inspirieren auch heute noch, 30 Jahre nach seinem Tod, viele Menschen, die in
seinem Sinne tätig sind, darunter auch Sascha Hörstlhofer, der trotz widriger
Ausgangssituation, den Verein in leitender Funktion am Leben hielt und heute als Wahrer und Mittler von Czermaks Auftrag agiert.
Mögen die Visionen Czermaks noch lange und nachhaltig wirken und mögen es künftig immer mehr Erwachsene begreifen, dass, wie es Czermak so oft betont hat, der Friede aus dem Kinderzimmer kommt ...
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